Gesunde Ernährung bedeutet nicht auf köstliche Geschmackserlebnisse zu verzichten. Bei der Zubereitung spielen eine positive Lebensweise und Energie eine sehr wichtige Rolle.
Wenn der Backofen mit Liebe angeheizt wird, in den Teig heitere Gedanken und reine Zutaten eingeknetet werden, ist das Ergebnis ein vollmundiger Genuss für die Sinne.
VON HERZ ZU HERZ
„Knäckebrot haben wir immer dabei“
Von Nicola Scharpf, Backnanger Kreiszeitung
Raili Kallavus stellt in einer ehemaligen Melkkammer mit regionalen Zutaten, Fingerspitzengefühl, viel Liebe und Seele Knäckebrot her. Das Backen ist für die Deutschlehrerin aus Estland nicht nur ein Nebenverdienst, sondern auch Ausgleich und gelebter Traum.

ASPACH. Raili Kallavus und das Knäckebrot, dahinter verbirgt sich mehr als eine findige Geschäftsidee. Es steckt auch eine Liebesgeschichte darin. Sie beginnt 2014 auf der Grünen Woche in Berlin, wo sich die Wege der Estländerin Raili und des Rietenauers Uli Pavlou am Stand des Gastlands Estland kreuzen. Sie setzt sich 2015 fort, als Raili nach Rietenau umzieht und mit ihr ihre Leidenschaft fürs Brotbacken und sie von da an oft, wenn sie unterwegs ist, und sie ist viel unterwegs, einem interessierten Menschen eine Packung ihres Knäckebrots als Kostprobe überlässt. „Knäckebrot haben wir immer dabei“, sagt Raili. Die Geschichte geht weiter bis heute, wo Raili und Uli in ihrer Backstube in Allmersbach am Weinberg stehen, die sie in einer ehemaligen Melkkammer eingerichtet haben, und dort in Handarbeit Knäckebrot entsteht, das sie an Wiederverkäufer wie Hofläden, Käsereien, Weinkellereien, Unverpackt-Läden abgeben. „Wir mussten uns in Berlin treffen. Das musste so sein in diesem Leben“, sagt Uli. Er sieht Raili an, die gerade eine dünne Schicht Knäckebrotteig auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech verteilt. „Wir leben unseren Traum.“
Raili’s Backstube, so der Firmenname, ist zurückgelegen von der Straße in einem Hinterhof und von außen kaum als solche zu erkennen. In der engen Kammer mit ihren gefliesten Wänden dominiert ein deckenhoher Profibackofen. „Wir haben im vergangenen Jahr großzügig investiert“, kommentiert Uli, dem von seinem Hauptberuf her Vertrieb, Organisation und Logistik geläufig sind und der daher auch in der Backstube für das Organisatorische zuständig ist, das Gerät. Neben der Eingangstür ist ein fast genauso hohes Regal mit vielen Einschüben für viele Backbleche angebracht. Unscheinbar auf einer edelstählernen Arbeitsfläche steht im Eck eine weiße Plastikwanne mit Deckel, deren vermischter Inhalt ebenso unscheinbar ist: Haferflocken groß und klein, grob und fein, Roggenmehl, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne, Sesam, Leinsamen. Die Kürbiskerne stammen aus der Steiermark, die übrigen Zutaten von der Seemühle in Unterweissach. Zusammen mit Wasser, Salz und Koriander wird daraus der Knäckebrotteig. „Das Rezept ist in meinem Kopf und im Herzen“, sagt Raili.
Für die richtige Konsistenz und Dicke der Teigschicht hat sie ein Auge und ein feines Gefühl in den Fingerspitzen. „Mit den Gummihandschuhen habe ich am Anfang das Gefühl für den Teig verloren. Inzwischen geht es aber auch so.“ Ist das Blech belegt, teilt sie den Teig mit dem Schaber in rechteckige, gleichmäßig große Stücke. An diesen Stellen lässt sich das fertig gebackene Knäckebrot später gut brechen. Raili belegt Blech um Blech, bis Blech um Blech für eine halbe Stunde in den Ofen wandern. Die Temperatur ist auf 160 Grad eingestellt, variiert aber je nach Ofen. Anders als viele Brotarten, denen beim Backen Feuchtigkeit zugesetzt wird, entzieht der Ofen dem Knäckebrot die Nässe. „Feuchtigkeit ist der Tod des Knäckebrots“, sagt Uli.
Der eingeschaltete Ofen wärmt den kleinen Raum, den inzwischen ein dezentes, kernig-nussiges Aroma erfüllt. Nach Ablauf der halben Stunde holt Raili routiniert heißes Blech um heißes Blech aus dem Ofen und schiebt sie zum Abkühlen ins Regal. Noch warm nehmen die beiden eine Kostprobe des zarten, unglaublich knusprigen Gebäcks. Frischkäse oder Wein passe hervorragend zu ihrem Knäckebrot. „Oder einfach so zum Knabbern“, sagt Uli. „Wenn Leute das Knäckebrot probieren und ich sehe in strahlende Augen, ist das für mich Motivation. Zufriedene Kunden motivieren mich.“ Knäckebrot in Handarbeit herzustellen, ist aufwendig. „Das tut sich ein Bäcker nicht an“, ist Uli überzeugt.
Raili hat Germanistik und Anglistik studiert und in Tartu als Deutschlehrerin an einem Gymnasium gearbeitet. Außerdem hat sie als Consulterin Nichtregierungsorganisationen beraten. „Mein Kopf war müde von dieser geistigen Arbeit. Die Hände wollten etwas machen“, sagt sie über ihre Verfassung, als sie im Jahr 2010 damit begonnen hat, Brot zu backen. Gemeinsam mit ihrer Tochter habe sie überlegt: Wo ist die Marktlücke? Im Roggenbrot mit Natursauerteig, ohne Hefe, habe sie sie gefunden. „Ich war da 50 plus. Die Leute haben mich gefragt: Bist du verrückt? Willst du tatsächlich von diesem Brotbacken leben?“ Aber sie hat ihre Seele und ganze Liebe ins Brot gesteckt. Nachts hat sie gebacken, tagsüber verkauft – auf Weihnachtsmärkten, im Einkaufszentrum oder im Sommer bei Festivals. Während der Grünen Woche in Berlin hat sie 180 Kilo Mehl verarbeitet.
Die Menschen wollten mehr aus Railis Backstube und so ist sie vor etwa acht Jahren aufs Knäckebrot gekommen. Als sie 2015 ins 2000 Kilometer von ihrer Heimat entfernte Rietenau umzog, hat sie wieder Spaß am Unterrichten bekommen und arbeitet an einer Privatschule in Ludwigsburg. Sauerteigbrot backt sie inzwischen nur noch für den Eigenbedarf. In ihrer Backstube ist sie abends oder am Wochenende zu finden. „Das ist für mich Entspannung. Es heilt mich, dass ich etwas mit den Händen machen kann. Es sorgt für Balance.“ An Endverbraucher verkauft Raili ihr Knäckebrot nicht: „Damit es Liebe bleibt und nicht zur Verpflichtung wird.“
Das Herz auf den Knäckebrotverpackungen und das Brot gehören zusammen: Raili erzählt, wie sie einstens in der Vorweihnachtszeit das Warten darauf, dass das Brot im Ofen fertig gebacken ist, damit füllte, aus Filz Baumschmuck in Herzform herzustellen. Jedem Käufer gab sie zum gekauften Brotlaib ein Filzherz dazu. Als die Zahl der verkauften Brote im Lauf der Jahre immer weiter zunahm, wurden die handgefertigten Filzherzen durch Aufkleberherzen ersetzt. Mittlerweile ist das rote Herz zum Firmenlogo geworden – weil sich hinter Raili und dem Knäckebrot eben auch eine Liebesgeschichte verbirgt.